Eric Rohmer (1920-2010)

Texte: Ekkehard Knörer

La sonate à Kreutzer (1956)

Ein Stummfilm, eigentlich, die Bildspur und die Tonspur säuberlich getrennt. Die Tonspur teilt sich in die Erzähler-Monolog-Spur, von Rohmer selbst gesprochen, und die nicht aussetzende, stummfilmbegleitartige Musikspur, Kreutzer-Sonate. Der Film ist schnell geschnitten, schnell gesprochen, die Geschichte ist schnell erzählt. Kein Gespräch im Zug, nur die Geschichte des Femizids, den der Erzähler, von Rohmer selbst gespielt, aus Eifersucht begeht (Jean-Claude Brialy spielt den Truchatschewskij, auch wenn er nicht mit Francoise Martinelli musiziert; das ist im Film ein anderes Paar). Als Freund des Protagonisten, der in Paris unterwegs ist, im Jazz-Club lernt er seine Frau kennen, des Protagonisten, der Architekt ist, spielt Jean-Luc Godard mit, macht diese Geste und jene. Im Redaktionsbüro sitzt André Bazin: 1 close-up. Manchmal nähert sich das Schauspiel dem Stummfilm an, etwa Rohmer beim Mord, ziemlich in Rage. Manchmal ist es eher Amateurfilmen nahe, nicht immer sind der Erzähltext und das Bewegtbild in intimem Kontakt. Oft überwiegt, von heute aus ohnehin, das Moment des Dokumentarischen: Rohmer, Godard, Bazin und viele Menschen mehr, von denen man gerne wüsste, wer sie wohl sind und was aus ihnen wurde, in Räumen, auf Straßen, in Wohnungen in Paris, wir schreiben das Jahr 1956. Tolstoi ist sehr viel ferner als die Nouvelle Vague, die hier noch eingesperrt scheint in eine Suche nach Formen, die mehr überzeugen. (61cp)

La boulangère de Monceau (1963)

In dieser der zweiten von Rohmers „Moralischen Geschichten“ ist die Frage der Moral eine der doppelten Ökonomie: der Liebe wie, buchstäblich, des Geldes. Beides ganz wie bei Balzac und näher als in diesem Zyklus war Rohmer gewiss nie bei diesem, von der Nouvelle Vague (vor allem Rivette und Rohmer) so sehr geschätzten Autor, der die menschlichen Verhältnisse als dem Erzählzugriff fast schutzlos ausgelieferte, auf der Souveränität des Subjekts entzogene Entscheidungssituationen zugespitzte Arrangements zu betrachten liebte. Rohmer hat von Balzac den Sinn für das Relationale und die Schonungslosigkeit, mit der Versuchsanordnungen durchgespielt werden, Rivette viel eher den Sinn für die Offenheit des Spiels, das Aleatorische, die Lust am überraschenden narrativen Abzweig aus der Ausgangssituation. ( Vielleicht aber laufen das Aleatorische und das Fädenziehen im Hintergrund, bei Rohmer wie bei Rivette, auf dasselbe hinaus, als die zwei Seiten derselben Medaille: die – der Improvisation nach Vorgaben des Regisseurs gedankte – Kontingenz bei Rivette tritt als Pathosformel an die Stelle des mit Marionetten spielenden Gottes, der Rohmers Geschichten erzählt.)

Die Ökonomie bewegt sich im Dreieck: Guillaume, sein bester Freund Bertrand, Suzanne. Guillaume und Suzanne sind ein Paar, er verachtet sie, Bertrand und Guillaume nützen Suzanne aus, lassen sich von ihr aushalten. Außerhalb des Dreiecks die zweite Frau, Sophie, die, gerade von außen, das Dreieck zu stabilisieren scheint. Guillaume ist verletzend gegen Suzanne, Bertrand schrickt immer wieder zurück, macht dann immer wieder mit. Guillaume und Suzanne trennen sich, Bertrand fragt sich, ob nicht sie die ganze Zeit die Fäden in der Hand gehalten hat, ob nicht sie gespielt hat, während er und Guillaume ihr gemeines Spiel Ernst genommen haben. Vom Ende her bekommt Suzanne recht – und wenngleich der Film, mit dem Ich, das spricht, das Bertrand ist, die Perspektive vorgibt, fragt man sich, von hinter dem eigenen Rücken aus, ob man nicht selbst dieser Perspektive auf den Leim gegangen ist.

Am Ende wird Guillaume verschwunden sein, wird Bertrand mit leeren Händen ausgehen und noch einmal von vorne anfangen müssen. Suzanne hat mit den Jungs gespielt, dann heiratet sie: eine Erwachsene unter Kindern von Anfang an, das ist Bertrands Einsicht am Ende. Die Ökonomie der Beziehungen ist eine verdeckte, was gesagt wird und was geschieht, kommt nicht überein, es gibt zuviele Worte, nicht zuletzt im Erzählerkommentar. Das Emblem für diese Verdeckungsverhältnisse findet der Film in einem Diebstahl: Guillaume oder Suzanne, einer von beiden, hat Bertrand 300 wohl versteckte Francs gestohlen. Das Geheimnis wird nicht aufgedeckt, in Bertrands Weigerung, Guillaume für den Täter zu halten, wird die Verzerrung der Wahrnehmung manifest.

La carrière de Suzanne (1963)

In dieser der zweiten von Rohmers „Moralischen Geschichten“ ist die Frage der Moral eine der doppelten Ökonomie: der Liebe wie, buchstäblich, des Geldes. Beides ganz wie bei Balzac und näher als in diesem Zyklus war Rohmer gewiss nie bei diesem, von der Nouvelle Vague (vor allem Rivette und Rohmer) so sehr geschätzten Autor, der die menschlichen Verhältnisse als dem Erzählzugriff fast schutzlos ausgelieferte, auf der Souveränität des Subjekts entzogene Entscheidungssituationen zugespitzte Arrangements zu betrachten liebte. Rohmer hat von Balzac den Sinn für das Relationale und die Schonungslosigkeit, mit der Versuchsanordnungen durchgespielt werden, Rivette viel eher den Sinn für die Offenheit des Spiels, das Aleatorische, die Lust am überraschenden narrativen Abzweig aus der Ausgangssituation. ( Vielleicht aber laufen das Aleatorische und das Fädenziehen im Hintergrund, bei Rohmer wie bei Rivette, auf dasselbe hinaus, als die zwei Seiten derselben Medaille: die – der Improvisation nach Vorgaben des Regisseurs gedankte – Kontingenz bei Rivette tritt als Pathosformel an die Stelle des mit Marionetten spielenden Gottes, der Rohmers Geschichten erzählt.)

Die Ökonomie bewegt sich im Dreieck: Guillaume, sein bester Freund Bertrand, Suzanne. Guillaume und Suzanne sind ein Paar, er verachtet sie, Bertrand und Guillaume nützen Suzanne aus, lassen sich von ihr aushalten. Außerhalb des Dreiecks die zweite Frau, Sophie, die, gerade von außen, das Dreieck zu stabilisieren scheint. Guillaume ist verletzend gegen Suzanne, Bertrand schrickt immer wieder zurück, macht dann immer wieder mit. Guillaume und Suzanne trennen sich, Bertrand fragt sich, ob nicht sie die ganze Zeit die Fäden in der Hand gehalten hat, ob nicht sie gespielt hat, während er und Guillaume ihr gemeines Spiel Ernst genommen haben. Vom Ende her bekommt Suzanne recht – und wenngleich der Film, mit dem Ich, das spricht, das Bertrand ist, die Perspektive vorgibt, fragt man sich, von hinter dem eigenen Rücken aus, ob man nicht selbst dieser Perspektive auf den Leim gegangen ist.

Am Ende wird Guillaume verschwunden sein, wird Bertrand mit leeren Händen ausgehen und noch einmal von vorne anfangen müssen. Suzanne hat mit den Jungs gespielt, dann heiratet sie: eine Erwachsene unter Kindern von Anfang an, das ist Bertrands Einsicht am Ende. Die Ökonomie der Beziehungen ist eine verdeckte, was gesagt wird und was geschieht, kommt nicht überein, es gibt zuviele Worte, nicht zuletzt im Erzählerkommentar. Das Emblem für diese Verdeckungsverhältnisse findet der Film in einem Diebstahl: Guillaume oder Suzanne, einer von beiden, hat Bertrand 300 wohl versteckte Francs gestohlen. Das Geheimnis wird nicht aufgedeckt, in Bertrands Weigerung, Guillaume für den Täter zu halten, wird die Verzerrung der Wahrnehmung manifest.

Le signe du lion (1962)

Paris, Party, ein Mann mit getönter Brille legt eine Platte auf, Jean-Luc Godard. Pierre Wesselrin (Jess Hahn), American in Paris, hat groß geerbt von seiner Tante (Telegramm, Bademantel), wirft das Geld, das er noch nicht hat, mit vollen Händen hinaus. Dann ist es weg, das Geld, das er nicht hat, sein Cousin ist der Erbe. Mit dem Auto unterwegs in Paris, das Pantheon, die Straßen, die Cafés, Deux Magots, Café de Flore, die Seine, Notre-Dame, die Brücken, klassische Blicke – und eine Bewegung: Pierre verliert den Halt, den Kontakt, fällt aus den Bezügen der Stadt. Er wird zum Agenten eines sich radikal verändernden Blicks auf Paris: Ohne Bleibe verflucht er den Stein. Verschlossen die Türen noch der billigen Hotels, aus den Blicken der Café-Besucher fällt er heraus. Der Bart wächst, der Schuh geht kaputt, das Ticket für die Metro verliert er, geht und schlurft von Nanterre zurück in die Stadt. Unter einem Baum schläft er ein, am Tisch des nächtlich zugesperrten Cafés schläft er ein, auf der Geige Musik, seine Musik, Töne der ungemütlichen Art. Was Zeichen des Behaustseins war, wird Zeichen der Exklusion. Die Familie und der Obdachlose sitzen nicht auf derselben Bank. Sie trinken nicht dasselbe Wasser. Sie leben nicht in derselben Stadt. Lang, fast unendlich lang zeigt Rohmer die Stadt und dieses Herausgefallensein seines Protagonisten. Er findet unter Obdachlosen Gesellschaft, der Baron karrt ihn herum. Einmal kreuzt er den Weg eines alten Freundes, dramatische Ironie, oder Tragik: Nur wir sehen den Weg zurück ins alte Leben, der sich hier öffnet. Das Auto fährt davon. Er schließt sich wieder. Und doch spielt das Drehbuch (Rohmer, Paul Gégauff) am Ende gnädiges Schicksal. Ein Autounfall, Pierre (der nicht Pierre ist) muss sterben, und voilà, wird wiedergeboren: Da ist, aus heiterem Himmel, das viele Geld. Eine moralische Geschichte? Was der Herausfall aus dem Individuum gemacht haben wird, erfahren wir nicht. Die Kamera, die narrative Instanz dieser Erzählung hat anderes vor. Sie entfernt sich nach oben, Schnitt, noch weiter oben, Gottes Blick, exit Individuum, Was bleibt, ist der Stein, nicht das Fleisch. Der Stein, nicht erweicht.

Ma nuit chez Maud (1969)

Schnell kommen zusammen: Weihnachten, Clermont-Ferrand, Pascal, Michelin, Statistik und Zufall. Eine blonde Frau in der Kirche, das Ich des Films (Ma nuit…), Jean-Louis (Jean-Louis Trintignant) in seinem angegossenen Anzug folgt ihr durch die Gassen, er hat entschieden, ein Entschluss, keine Passion, irrational aus Kalkül: Sie soll es sein, die er heiraten wird. Etwas kommt dazwischen, die Begegnung (der Zufall) mit dem alten Schulkameraden Vidal. Man spricht über Pascal, die Wette auf einen Glauben aus Kalkül. Vidal nimmt ihn mit zu Maud (Francoise Fabian), mit der er auf vertrautestem Fuß ist. Da steht der Weihnachtsbaum, die kleine Tochter, Marie, kommt aus ihrem Zimmer, die Lichter am Baum gehen kurz an. Der Fernseher, der Plattenspieler, alles akkurat, aufgeräumt, rechteckig, kantig. Nur das Bett, als Couch mit flauschig-weißer Decke, stört diesen Eindruck. In dieses Bett zieht Maud, nur knapp bekleidet, sich zurück, als Vidal, Pascal ist soweit zuende diskutiert, die Wohnung verlässt. Jean-Louis bleibt, obgleich es das Zimmer, in dem er übernachten kann, gar nicht gibt. Er bleibt, tritt ans Fenster, er raucht. Maud, im Bett, raucht auch. Sie kreuzen die Wörter wie klingen, es geht um Liebe und Katholizismus. Seine Prinzipien verlangen, dass er nicht mit ihr schläft. In der großen Glaubenskonstruktion dieser Liebe (zur Blonden, Francoise, Marie-Christine Barrault) wäre Maud die Versucherin, die in der Nacht vor der Konfession (auf der Straße) den Mann in ihr Bett zu locken versucht. Aber versucht sie ihn? Gewiss, er liegt dann neben ihr, und sie ist nackt. Am Morgen umarmen sie sich, auch küssen sie sich, später im Nebel, aber es siegen: Francoise, der Entschluss, die Kirche, die Prinzipien. In einer Coda wird das in einer (letzten?) Zufallsbegegnung zwischen Jean-Louis und Maud, besiegelt, die Nacht bei Maud als Krypta, über der die eheliche Liebe errichtet wird. Unbeschwert rennen sie, es ist Ebbe, zum Meer.

Le genou de Claire (1970)

Der nicht mehr ganz junge Mann und der See (von Annecy). Und sein Boot (mit Motor). Jerôme und sein Bart (Jean-Claude Brialy). Und seine Begegnung mit Aurore. Da kehrt er um. Sie berühren einander sehr viel, es ist ein Film, in dem sich, vor allem heterosexuell, viel berührt wird. Nicht nur am Knie. Zum Knie kommt der Film erst am Ende. Zuvor: die Haare von Laure. Anders als bei Petrarcas Laura also von Unberührbarkeit keine Rede (außer, man nimmt die Berührung gleich als Begriff für das Ganze, den Vollzug; zu dem nämlich kommt es ausgiebig nicht). Laure (Béatrice Romand), die sich an den Haaren berührt, die von Jerôme an den Haaren berührt wird, und anderswo auch, in den Bergen küsst er sie auf den Mund. Es ist die Geschichte Jerômes, die hier erzählt wird, einerseits, andererseits ist es eine Geschichte, deren Kern ein Vielerseits ist. Also etwa die Ufer des Sees, das sind viele, der Mann mit dem Boot landet an, hier oder da, in diesem Haus oder jenem, trifft diese Frau an oder jene, abwesend ist, oft genannt, ist die Verlobte, Lucinde (kein Darstellerinnenname, kein Bild), leeres transzendentales Signifikat, es ist also ein Film, einerseits, über den Aufschub. Und andererseits, vor allem, darüber, was der Aufschub so alles erlaubt, Flirtationen der schwierigen, ja, auch schmierigen Art. Ein wenig wie Götter, jedenfalls lieben sie es, Schicksal zu spielen: Aurora (Aurora Cornu), die Schriftstellerin, und Jerôme, der Mann, mit dem sie experimentiert. Aber was für ein «mit» mag das sein, schillernd zwischen Komplizenschaft und geschicktem Verschicken, in Experimente mit den jungen Frauen hinein. Das Berühren als Aufladen mit erotischen Energien, die ans eine und ans andere Ufer, zur einen und zur anderen Frau, verschickt werden. Dort landen sie an, am Knie des Sees, am Knie Claires, an deren beim Volleyball verletzten Fingern, streichelnd, berührend, sich Aurora zuvor schon bedient hat. Jerôme wäre so Zeus, angestiftet, sich selbst anstiftend in einem Spiel des Begehrens mit der Göttin Aurora für Spiele des Begehrens mit den irdischen Göttinnen Laure und Claire. Wer hier mit wem spielt, was für ein «mit» das jeweils ist, wie die Wörter die Körper berühren, wie das Berühren der Körper mit den ausgesprochenen Wörtern interagiert (von den nicht ausgesprochenen Wörter, den nicht berührten Teilen der Körper zu schweigen), wer die Kontrolle sucht oder aufgibt, sich dem Spiel (aber wessen Spiel) überlässt, wer siegt oder verliert, falls es um Siege oder Niederlagen überhaupt geht, wer hier wirklich liebt, falls es in der Liebe ein «wirklich» überhaupt gibt: Das sind so Fragen, bei deren Beantwortung man vielerseits anlanden kann. 

Liebe am Nachmittag (1972)

Ziemlich säuberlich teilt sich die Welt in Verehrer und Verächter der Kunst von Eric Rohmer. Letztere sehen in seinen Filmen viel Gerede um nichts. Viel zitiert ist Gene Hackmans Satz in Arthur Penns nicht weiter berühmtem Film „Night Moves“: „Ich habe einmal einen Rohmer-Film gesehen; es war, als schaute man Farbe beim Trocknen zu.“ Es ist vielleicht so viel daran wahr, dass Rohmer ein Meister der Oberfläche ist, ein präziser Beobachter von Oberflächlichkeiten.

Rohmers Geschichten und Figurenkonstellationen haben freilich mit Wandfarbe nichts zu tun, sondern besitzen die Frische und Leichtigkeit der Skizzen und Gemälde des galanten und frivolen Rokoko-Künstlers Jean-Honoré Fragonard. Es ist kein Zufall, dass Rohmer den Titel seines ersten Filmzyklus‘ „Sechs moralische Geschichten“, dessen letzter Teil der Film „Die Liebe am Nachtmittag“ ist, den „Contes moraux“ von Fragonards Zeitgenossen Jean-Francois Marmontel entlehnte. Es geht in Rohmers Zyklus allerdings nicht um moralische Belehrung, sondern um moralische Dilemmata.

Als Liebhaber des 18. Jahrhunderts, auch als Verehrer Balzacs ist Rohmer kein Verehrer der strengen Moderne, ja, in vielen Zügen entschieden vor- bzw. konterrevolutionär. Man hat ihm das übel genommen, das Festival von Cannes wies seinen revolutionskritischen Film „Die Lady und der Herzog“ (2001) empört zurück, obwohl der darin geübte experimentelle Umgang mit digital erzeugten, gemäldeartigen Hintergründen seinesgleichen nicht kennt. In Rohmers „Triple Agent“ (2003)hängen die Bilder der Moderne im Wohnzimmer der Stalinisten.

Rohmers Kunst des Dialogs ist eine der Konversation und nicht des Tiefsinns, mehr Rhetorik als Philosophie. Dabei aber auch von genialer Einfachheit im Entwurf der Szenarien, man nehme nur die so simple wie intrikate Konstellation von „Die Liebe am Nachmittag“ aus dem Jahr 1972: Frédéric (Bernard Verley) liebt seine Frau Hélène (Francoise Verley) und fühlt sich doch von der urplötzlich auftauchenden, irrlichternden Chloe (Zouzou) angezogen. Rohmer treibt das Dilemma auf einen Moment der Entscheidung zu, verleiht dem Ganzen dadurch beträchtliche Spannung und bleibt dabei doch immer der zurückhaltende Beobachter der sich entfaltenden Comédie humaine.

Von Rohmers Übermut und Lust am Experiment zeugt ein absurd-komisches, Science-Fiction-artiges Vorspiel, in dem eine Weile der Fantasie Raum gegeben wird, Frédéric besitze einen Talisman, mit dem er den Willen der stolzesten Frauen brechen kann. Es folgen, durch Schwarzblenden mit Kapitelangaben eingeleitet, die beiden Teile der eigentlichen Geschichte. Umwerfend als Chloe ist Zouzou, Model-Ikone der 60er-Jahre, Schauspielerin in den Underground-Filmen Philippe Garrels vor dem Erfolg mit „Die Liebe am Nachmittag“. Von einer Einstellung zur nächsten wechselt sie die Kleider wie ihre Stimmung. Erst drängt sie sich auf, dann entzieht sie sich, mal ist sie verführerisch und kokett, mal verbiestert und verstockt.

Wie stets im Kontext der „Nouvelle Vague“ ist der Realismus keine Sache der Illusionierung, viel eher der Dokumentation von Gesten und Stimmen, Bewegungen und Tonfällen der Darsteller. Man sieht nicht der Farbe beim Trocknen, sondern den Akteuren beim Sprechen, beim Denken, beim Verführen und Verzagen zu. Die Einstellung selbst bietet dazu den beinahe neutralen Hintergrund. Klar wie stets sind die Bilder des großen Kameramanns Nestor Almendros. Die Mittel sind reduziert auf das Notwendige, was nur heißt: Jede Kamerabewegung, jeder Schnitt, jeder Zoom ist ein einfacher filmischer Gedanke, vom Inhalt nicht zu trennende Form.

Enfance d’une ville (1975)

Die neue Stadt ist noch im Entstehen, gut zwanzig Kilometer nördlich von Paris, um alte Kerne, einen See, den sich kurz vor der Mündung in die Seine schlängelnden Fluss Oise und fünfzehn Verwaltungseinheiten zu Cergy-Pontoise zusammengelegt. Rohmer und der Journalist Jean-Paul Pigeat stellen Fragen an Männer (die erste und einzige Frau tritt, im Privatraum, in der 39. Minute erst auf): Verwaltungsleute, Urbanisten, Planer in ihren Büros, einer steht auf der Brücke und erklärt, wie man das Wohnen und Leben von der Bewegung mit dem Auto auf der Straße separiert, während ein Experte für den Transport erklärt, dass die breiten Straßen zur Geschwindigkeitsübertretung einladen. Die Architektur soll divers sein, man weiß vom strukturellen Konservatismus der Bewohner. Kritisch gesehen wird das riesige, nach außen abweisende Einkaufszentrum, eine frühe Mall, die ihr Betreiber als Funktionsbau verteidigt (in L’ami de mon amie ist sie nur von außen zu sehen, Rohmer präferiert das Draußen der Stadt). Zwar wird ein sich rundendes Beinahe-Hochhaus in blauer Farbe gebaut, Ricardo Bofills kühner Entwurf einer gotischen Wohn-Kathedrale jedoch wurde niemals gebaut. Bofills dann 1986 fertiggestellter Monumental-Halbrundbau Belvedere St. Christophe (sehr ähnlich der fast zeitgleich entstandenen Place de l’Europe im Antigone-Viertel von Montpellier, als verschlossen gedrungene Hunger-Games-Variante Abraxas in Noisy-le-Grand zu bewundern) ist dagegen noch architektonische Zukunftsmusik: Über diese Großfläche zerbrechen sich die talking heads hier noch den Kopf. Formal konventionell ist die Doku, das etwas abseitige Gespräch mit zwei Priestern ist vermutlich dem Katholiken Rohmer zu verdanken. (62cp)

Die Marquise von O. (1976)

Die «gebrechliche Einrichtung der Welt», in diesem Bild von der Existenz fühlt sich Rohmer als Konservativer zuhause. Und folgt dabei Kleist, in die deutsche Sprache, ins deutsche Theater, besetzt die wichtigsten Rollen mit Schaubühnenstars: Edith Clever und Bruno Ganz und Otto Sander, dazu, von Dorns Kammerspielen her, Peter Lühr, der die Contenance noch dann wahrt, wenn er den Revolver von der Wand nimmt und schießt. Edda Seippel sinkt ohnmächtig hin, und dies noch mit Fassung. Sie spielen theaterhaft psychologisch, gießen Sprache und Körperhaltung millimeterpräzise in pathosformelhaft vertraute Sprach-Gesten-Haltung hinein. Nicht minder virtuos gibt sich die Kamera von Nestor Almendros entspannt, natürliches Licht drinnen und draußen ist Landschaft aus Schloss und Gatter und Weg und Garten und Baum Natur, wie die Zeit von Kleist sie sich vorgestellt hat. Literaturverfilmung nach dem Ha-Ha-Prinzip: Was Zäsur ist und als Grenze Gestalt gibt, soll unsichtbar bleiben, alles ist bis in die Fingerspitzen und Zweiglein auf zwanglose Fassung geeicht. Musiklos, versteht sich. Und während man Kleists von Einschüben und Kommata verhexter Sprache die Unruhe und Zwanghaftigkeit ansieht, fällt bei Rohmer, der diese Sprache auf Tafeln noch als Schrift-Zitat im Film bändigt, der Kontrast von Fassung und äußerstem (innerem) Aufruhr so radikal aus, dass es ihm am Ende wohl genau darum geht: der extrem gebrechlichen Einrichtung dieser Welt, dem Abgrund aus Vergewaltigung und misogynem Verdacht, der nur durch den Sprung in die Liebe zu überwindenden Spaltung des Mannes in Engel und Teufel die gelassene Form entgegenzuhalten. So macht Rohmer die Marquise erst recht zur starken, zur mit sich selbst bekannt gemachten Figur, nur dass ihre Stärke die einer selbst-bewussten Dulderin ist. (78cp)

Perceval le Gallois (1978)

Eric Rohmer stellt sich das 12. Jahrhundert des Chrétien de Troyes in der Vorstellungswelt des 12. Jahrhunderts vor. Das Kino als Kunst des 20. Jahrhunderts wird in nicht illudierende Kulissen gestellt, der Text wird gesungen so sehr wie gesprochen, und wenn Chrétien schreibt, er könnte den Schwertkampf nun Schlag für Schlag ausführlich schildern, tue es aber nicht, weil jeder sich das in der Zusammenfassung selbst vorstellen könne, dann stimmt Rohmer gerne zu. Fabrice Luchini hat, anders als sagen wir Kenneth Brannagh, keineswegs den Schwertkampf geübt. Und taugt doch als Hänfling Perceval, der seiner Mutter beim Aufbruch das Herz bricht, der alles bis zur Tumbheit wörtlich versteht und als Tor, den das Leben nach und nach aufklärt, doch nicht genauer geschilderte Kämpfe wie auch Herzen gewinnt. Rohmer inszeniert in Kulissen, die theaterhaft künstlich und schön sind. Die Wege gebahnt wie im Schnee, die Bäume wie dünn metallisch geschmiedet, die Burgen trutzig, aber im Maßstab verrutscht. Die Darstellung, als bedienten die Schauspieler*innen sich aus festgeschriebenem Gestenrepertoire, die Haltung der Hände oft wie auf Gemälden der Zeit. Dazu der Gesang als Gruppenbegleitung, zur Laute, zeitgenössisch ist die Alte Musik. Die erste Person übernimmt ohne Übergang oder Bruch die Erzählfunktionen der dritten, der Text reimt sich, ganz wie er im Buch steht, das Sprechen eher Rezitation als emphatische Aneignung der gespielten Person. Jedoch steckt nicht nur in den Kulissen, sondern auch in den – stärker auf einen historischen Realitätseffekt zielenden – Kostümen ausgesprochen viel Liebe. Der Gral als Pokal, der wie ein Milchglas bei Hitchcock etwas unheimlich leuchtet. Zwischendrin die roten Wangen Blanchefleurs als Animation. Später, beim von der Forschung immer wieder als separate Dichtung genommenen Gawain-Strang, eine großartige Kamerafahrt an mittelalterlichen Handwerkstätigkeiten entlang. Zum Ende, das bei Chrétien fehlt, nimmt sich der Katholik Rohmer die Freiheit, in lateinischer Sprache nun noch Christi Passion zu verfilmen. So wird nicht nur der Fischerkönig, sondern, mit Christi Tod am Kreuz, gleich die Menschheit erlöst. (80cp)

La femme de l’aviateur (1981)

Ein Liebesdreieck (plus eins) mit losen Haftungen und schwankendem Begehren, Gemengelagen zwischen Lösung und Bindung. Eine Tür, durch die erst der eine, dann der andere kommt, ein Innen- und Schutzraum, das Studio unter dem Dach, in den Anne (Marie Rivière) erst den einen Mann einlässt (Mathieu Carrière), der nun ganz zu seiner Frau zurückkehren will, und dann, später, den anderen Mann, François (Philippe Marlaud, großartig zwischen Entschlossenheit und Zögern, der noch im Jahr, in dem der Film ins Kino kam, nach einem Brand im Campingzelt starb). Sie, Anne, will und will nicht, beide, wenn auch den einen sicher anders als der anderen, der eine erst zwanzig, halb noch Kind – entsprechend mit einer Fünfzehnjährigen affiliiert -, der andere als Verheirateter wiederum zu erwachsen – wenngleich sich seine Frau, die Frau des Titels, als seine Schwester entpuppt. Es ist eine Verschiebegeschichte: François’ Verhältnis zu Anne ist unkonsolidiert, und wird es auch bleiben, da hilft der Begehrensverstärker Eifersucht wenig. Aus dem Nichts wird ihm eine in ihrer Jugendrechheit sehr verführerische nicht-zergrübelte Alternative präsentiert, sie verbringen den größten Block des Films im Märchenpark Buttes Chaumont, und nicht zuletzt mit gemeinsamer detektivromanhafter Fantasieproduktion. Sie spinnen spekulative Geschichten um das Paar, das sie verfolgen, den Flieger mit einer Blondine, die, wie sich am Ende zeigt, eben nicht seine Frau ist. Nichts klärt sich da, alles verkompliziert sich nur, da hilft auch keine die Dinge festhaltende Polaroid-Fotografie. Dann die Rückverschiebung ins andere Feld, zur anderen Frau, die ihn wegstößt und wieder heranzieht, aber nicht küsst, auf dem Weg zu einem weiteren Mann, der angeblich nicht begehrenswert ist. François irrt weiter in seinem Liebes-Limbo, der Gare de l’Est, wo der eine Mann ankommt, der andere keineswegs abfährt, ist der obligatorische Passagepunkt dieser Verschiebegeschichte. Hier wird François seine Postkarte schreiben, an die Detektivromanfrau, leider hat sich außerhalb des Märchenparks ein Mann ins Ausweich-Imaginäre gedrängt. Aus dem direkten Einwurf der Karte ins Reale wird darum nichts. Aber Briefmarke drauf, Wunschpost verschickt, sage keiner, dass das irrende Begehren nicht irgendwann per Postkarte ankommen kann. (82cp)

Le beau mariage (1982)

Le Mans – Paris – Paris – Le Mans, eine Pendelbewegung nicht nur mit der Bahn, aus der Rohmer hier seine Komödie vom Luftschloss erbaut. In der Bahn, zwischen Paris und Le Mans, wird sie enden, mit einem Da Capo. Und so ging es los: Als das Telefon den Sex unterbricht, klettert Sabine (Béatrice Romand) rasch aus dem Bett des verheirateten Mannes, springt aus seinem Leben davon und setzt sich in den Kopf, dass sie, fast egal wen, heiraten will. Ihre Freundin Clarisse (Arielle Dombasle), die Lampenschirme und anderes illustriert und außerdem schon verheiratet ist, ist nur zu gern beim Intrigieren behilflich und setzt Sabine auf ihren Cousin an, den Anwalt Edmond (André Dussollier), der, als er begreift, wie ihm geschieht, einen Brief schreibt, der die Empfängerin gar nicht erreicht. Der Heiratswille als Setzung, als materialisierte Unwirklichkeit, ist ein Luftschloss von einiger Brutalität und bringt, so sprunghaft die Wünscherin ist, in der Wirklichkeit mancherlei in Bewegung, nicht im Großen und Ganzen, aber groß doch im Kleinen. Sabine streicht die Dividende einer Verhandlung aufs Konto ihres Heiratsplans ein und verliert ihren Job. Die Mutter blickt befremdet auf die Tochter und das, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. Wobei von Anfang an klar ist, dass das generische Komödienende, also die Hochzeit, von der auch der Titel des Films zu wissen behauptet, unweigerlich zur Tragödie führte. Wie man am Ende sieht, geht es auch gar nicht um dieses Ziel, sondern um den inneren Aufruhr, den die kühne Setzung ermöglicht, die Diskussionen um Liebe vor Fenstern, die Blicke nach draußen, das Öffnen von Türen, hinter denen heftig der Wind weht, um den Willen zum Wollen, das, nichts leichter als das, im fahrenden Zug von einem Objekt zum anderen springt. (74cp)

Pauline à la plage (1983)

Der nächste Sprichwort-Film, das Motto diesmal von Chrestien de Troyes, nach der Perceval-Verfilmung ist nun Arielle Dombasle vom Rand sehr viel weiter ins Zentrum gerückt: «Qui trop parole, il se mesfait». Zu viel der Worte, das kann man sagen, wobei das mit dem Schaden weniger eindeutig ist, wenn Pauline und Marion ihn am Ende mit einer Art Quantentheorie der Liebesdinge begrenzen. Mit einem Dialog am selben Ort, im Garten des Hauses am Meer, einem Dialog über die Liebe, hatte alles begonnen. Trockenübungen, danach geht es an den Strand, dort laufen den beiden die Männer über den Weg. Drei Männer, drei Frauen, drei Orte (wobei der Strand zu offen und damit öffentlich ist, die zwei Häuser dagegen eröffnen und versperren mit Treppen, Türen und Fenstern begehrens- und konfliktträchtiger den Blick). Marion, die von Pierre begehrt wird, sich aber mit Henri einlässt, der aber auch mit Louisette ins Bett geht, den Betrug jedoch auf Sylvain schiebt, in den Pauline sich verliebt hat, weshalb sie nun die Eifersucht plagt. Einer geht leer aus, am Strand, beim Tanz, und überhaupt, der schöne Pierre, dem es nicht gelingt, das Begehren auch nur einer Frau auf sich zu ziehen. Einer versteht die Liebe als äußerst beweglich, Henri, kein Wunder, dass er am sich Ende mit einer ganz anderen Frau auf einem spanischen Segelboot davonmachen wird. In diesen Spielen der Liebe, für Pauline sind es, auch wenn sie von Anfang an klug ist, Premieren, nimmt niemand allzusehr Schaden, vielleicht sogar, weil in der Summe Chrestien auf den Kopf gestellt wird: Im Zweifel sind die Worte, und es werden in diesem Film selbst für Rohmers Verhältnisse ausgesprochen viele gemacht, im Zweifel also sind sie, wenn man und frau sie nur geschickt genug spinnt, das Sicherheitsnetz, das jeden Absturz der Liebe auffangen kann. (75cp)

Les nuits de la pleine lune (1984)

Erste Einstellung: Langsamer Linksschwenk, Kamera Renato Berta, von der Bahnstation in der Banlieue Marne-la-Vallée auf die Tür des Neubaus, in dem Louise (Pascale Ogier) lebt. Mit Rémi (Tchéky Karyo), dem Architekten, der da, wo er baut, auch leben will. Sie aber zieht in einen Altbau in der Stadt, den sie zuvor vermietet hat, oder hält ihn sich frei als pied-à-terre für die Nächte, die lang werden sollen. Für diese Nächte, das Tanzen – und es wird sehr viel getanzt in diesem Film, die Kamera fährt von oben nach unten und später, da sind sich zwei Körper gefährlich nahe gekommen, nach oben – für diese Nächte, Vollmond oder nicht, ist Rémi nicht der richtige Mann. Er bleibt abends zuhause und spielt tagsüber Tennis. Natürlich gerät in dieser moralischen Geschichte, die zunächst säuberlich scheint, alles bald schwer durcheinander, diesmal dem Motto, unter das sie gestellt ist, sehr treu: Wer zwei Frauen hat, verliert seine Seele. Wer zwei Häuser hat, verliert den Verstand. Da hilft dann auch kein Design, nicht das milde Blau der Wände, nicht die antike Säule im Zimmer mit den zwei Neon-Leuchten darauf, nicht die schicke Achtziger-Mode. Das alles hilft nicht, wenn auf der Party ein Mann mit Halstuch und Handschuhen auftaucht, die er, wenn es zum Küssen in die Küchte geht, abstreift und in der linken hinteren Hosentasche verstaut. Als Joker im Spiel, oder, zu seinem Leidwesen, nicht: Octave (Fabrice Luchini), der beste Freund von Louise, der bis zur Übergriffigkeit scharf auf sie ist, der Schriftsteller, der mit leichter Hand aus Wirklichkeitsspuren Romane und Luftschlösser baut, als hätte, was er fantasiert, keine tatsächlichen Konsequenzen. Ein Haus, aber in das er mit Louise hineinpasst, kann auch er nicht entwerfen: Sie hat auf ihn keine Lust. Zu diesem Reigen werden Sätze in die Räume gestellt, Louise und die anderen behaupten Dinge über die anderen und sich selbst, von denen nicht gesagt ist, dass sie auch stimmen. Probierendes, behauptendes Reden, der Tanz bringt womöglich eine andere Wahrheit hervor. In der Moral von der Geschichte, und nicht nur in dieser, ist das von misogynen Zügen nicht frei, Octave eine der unangenehmsten Rohmer-Männerfiguren. Es ist jedoch so sehr der Film von Pascale Ogier, die sich mit einer Selbstsicherheit bewegt und mit einer Selbstsicherheit spricht, von denen sie ahnt, dass ihnen die Grundlage fehlt. Aber wenn es dann schiefgeht, bleibt fürs erste Octave. (75cp)

Das grüne Leuchten

Beinah bedingungslos ist meine Liebe zu Eric Rohmer. Ich habe die meisten seiner Filme gesehen, verehre sie alle, nur mit einem von ihnen habe ich ein Problem. Neulich habe ich ihn wiedergesehen, DAS GRÜNE LEUCHTEN, das Problem ist noch da. (Viele lieben gerade diesen Film von ihm ganz besonders. Ich sicher nicht.) Stärker als andere Filme lebt dieser von der Improvisation. Was ich an Rohmer mag, ist gerade die Kühle, mit der er als strenger, von Bösartigkeiten nicht immer freier Menschenfreund seine Komödien der Irrungen und Wirrungen, der Einsichten und Irrtümer konstruiert. Die Wege zur Wahrheit sind in den gewaltigen Gevierten des Rohmer-Dialogs niemals gerade. Die Irrtümer werden vorgeführt, und zwar so, dass einerseits die Schwächen der Figuren und also eine Differenz zwischen ihnen, ihren Worten und Taten, und der Konstruktion des Problems, um das sich der Film dreht, sichtbar bleiben und bleibt.

Die Liebe Rohmers zum Detail, sein Verständnis für Fehler und Schwächen (der große gefährliche Vorzug des Konservativen, der an Vollkommenheit auf Erden nicht glaubt) sorgen auf der anderen Seite dafür, dass nichts in seinen Filmen je in der bloßen Konstruktion aufgeht. Die Spannung zwischen den strengen Linien der Anordnung – also einem Draufblick – und dem freien Sie-selbst-Sein-Dürfen seiner Figuren – also einem Dabeisein – macht den großen Reiz seines Werks aus. Die Anweisungen an die Darsteller lauteten immer nur: Sprich den Text. Mach es wie du denkst. DAS GRÜNE LEUCHTEN aber ist für mich der Film, in dem diese Spannung am ehesten kollabiert: Der endlos improvisierenden Marie Rivière in der Hauptrolle die macht, wie sie denkt, aber viel zu viel eigenen Text spricht, gelingt es beinahe, die Linien des Problems (eine Frau, die, zu viel wollend, sich verkennt) in einer Weise zu verdecken, die für einen Rohmerfilm untypische identifikatorische Reaktionen auf die Figur geradezu herausfordern. Mir geht es auch so: Ich reagiere auf Marie Rivière sehr gereizt. (Und ja, natürlich, das Ende von Das grüne Leuchten ist großartig.)

Der langen Vorrede kurzer Sinn: Marie Rivière hat einen Film über Eric Rohmer gedreht, EN COMPAGNIE D’ERIC ROHMER, 2007 begonnen, er endet mit seinem Tod im Januar 2010. In diesem Zeitraum sucht sie ihn immer wieder in seinem Büro in Paris auf (man sieht das Klingelschild, im Stockwerk unter Rohmer: Godard/Mieville), jenem Ort, an dem, wie sie hinterher erzählt, die Darstellerinnen und Darsteller sich in den langen, meist rund ein Jahr dauernden Vorbereitungen auf einen Film immer trafen. In diesen Kern von Rohmers beruflicher Existenz dringt Rivière also ein. Was könnte interessanter, aufschlussreicher sein? Aber erst einmal nervt der Film kolossal. Rivière stellt eher sich als Rohmer in den Mittelpunkt, kokett, geschwätzig, ihre Unfähigkeit, mit der Videokamera umzugehen, recht eindrucksvoll vorführend. Sie quatscht, latscht durch Paris und schneidet, das ist am allerunerträglichsten, Rohmer mit dem Schnitt immer wieder das Wort ab.

Formal bleibt das ganze eine unstrukturierte Durcheinandermaterialsammlung, jedoch gewann ich den Film, Rohmer sowieso und beinah sogar Marie Rivière, je länger das ging, umso lieber. Außerordentlich ungezwungen ist Rivières Umgang mit dem durchaus hellwachen alten Mann. Gemeinsam erinnert man sich, Rohmer rezitiert Gedichte, viele Gedichte, er singt Lieder aus seinen Filmen, vieles davon hat er selbst komponiert. Fabrice Luchini platzt zweimal herein ins Büro, in seiner Fabrice-Luchini-Haftigkeit halb umwerfend, halb unerträglich. Arielle Dombasle ist auch einmal da und erklärt, dass ihr – zweiter – Ehemann (BHL) der einzigartigste, der einzige Mann auf der Welt ist, den sie je lieben wird und kann. Das ist für Rohmer aus philosophischen Gründen ziemlicher Blödsinn. Er wahrt bei dem Treiben um ihn herum stets eine gewisse Reserve und Distanz, aber so wie ein Großvater, der das kindische Tun seiner kleinen Enkelinnen und Enkel mit Wohlwollen betrachtet und Rempeleien und Küsse duldet und manchmal ein wenig mitspielt.

Für den, den das Werk interessiert, bleiben in dem Film eher wenige Momente: Aufnahmen etwa von einer Podiumsdiskussion in der Cinémathèque mit Serge Toubiana und Alain Bergala, auch in den Gesprächen mit Luchini geht es um ernsthaftere Dinge. Rohmer spricht etwa darüber, wie wenig ihn das Theater interessiert, und zwar als Inszenierung eines Texts, der nicht seiner ist. Was ihn am Käthchen von Heilbronn reizte, war die Übersetzung, die seine eigene war. In einer recht aufschlussreichen Sequenz sprechen Rohmer- und Nicht-Rohmer-Schauspielerinnen darüber, wie unfehlbar jede und jeder, der in einen Rohmerfilm gerät, ganz anders, nämlich à la Rohmer, zu sprechen beginnt.

Übrigens, ein P.S., man erfährt das ganz nebenbei in EN COMPAGNIE D’ERIC ROHMER, ich wusste es nicht: Es gibt noch einen letzten Film des Regisseurs, einen Kurzfilm mit dem Titel LE NU À LA TERRASSE (oder so ähnlich), Teil einer Sechs-Filme-Kompilation des Namens Le modèle. Ich habe nirgends etwas darüber gelesen, jetzt auch weiter nichts dazu gefunden. Wie kann das denn sein, dass der letzte Film, den Rohmer je gedreht hat, nirgends gezeigt wird?

Rosette par Rosette (1982-1987, Rosette & Eric Rohmer)

Apokryphen in Super-8, fünf Episoden, in denen sich Rosette, bei Rohmer Darstellerin, zur Regisseurin von Kurzfilmen, deren Protagonistin sie ist, verselbständigt hat. Und zwar, wie es im Vorspann jedes Mal heißt: «aidée par Eric à l’image». Die Kamera also: Rohmer. In der ersten Episode sitzt er dann sogar als strenger Vater der Heldin (Rosette) am Tisch. Das wechselnde Ensemble der einzelnen Folgen, die von 1982 bis 1987 entstanden, ist aus der Rohmer-Welt gespeist, Arielle Dombasle und Marie Rivière, vor allem Pascal Greggory, als Liebhaber Rosettes, einmal verkauft Féodor Atkine etwas auf einem Markt, Amanda Langlet in ganz kleiner Rolle, es geht, etwas harmloser und frivoler als bei Rohmer, um Liebschaften und Sex-Konkurrenz, die Straßen von Paris und die Passanten darin werden schön überrumpelt, die Räume sind eng, die Betten eher Matratzen, alles wirkt improvisiert und wie im Bewusstsein gespielt, dass es sich um ein Nebenbei-Amateurprojekt handelt. Es sind aber auch die Frontstellungen klarer: gegen die Männer mit Geld, die die Frauen betatschen, denen dann kleinere (Champagner) oder größere (die echten Juwelen) abgeluchst werden. Nicht, dass die Welt das gebraucht hat, aber schön ist es als Nebenwerk en famille. (60cp)

L’ami de mon amie (1987)

Der Vorspann setzt drei der Figuren fernsehserienmäßig ins Bild: Name von Schauspielerin und Figur bei charakteristischer Tätigkeit im Büro, Atelier und Labor. Dazwischen Bilder vom Schauplatz, der nouvelle ville namens Cergy, über die Rohmer zwölf Jahre zuvor L’enfance d’une ville, eine Doku fürs Fernsehen, gedreht hat. In der Mensa begegnen sich, die eine blau gekleidet, die andere grün, die zwei Frauen, um deren Begehren und Nicht-Begehren (der Männer) sich alles weitere dreht: Blanche und Lea. Die Primärfarbcodierung zieht der Film durch bis zum Ende, an dem zweimal grün und blau komplementär in ihr Happy End hinaus ziehen. Bis dahin tut sich in fast schon mechanischen Permutationen wenig und viel. Walk and sit and talk: an Tischen im Café, im Park von Cergy, in der Wohnung von Blanche im gerade erst fertig gestellten monumentalen offenen petersplatzförmigen Halbrund Belvedere St. Christophe nach einem Entwurf von Ricardo Bofill, eine schlanke und hohe Säule von Dani Karavan in der Mitte. Das Dezentrale ist Thema, man sieht Paris – La Défense – in der Ferne, einmal wird der Verlauf des Flusses Oise erklärt, ein anderes Mal gibt es eine für Rohmer untypische schnelle Schnittsequenz, die Gruppen von Menschen im Park zeigt – es ist ein wenig, als habe Rohmer neben seiner Freundin-des-Freunds-der-Freundin-Sprichwortgeschichte auch L’adolescence d’une ville drehen wollen. Was ihn an diesem und jenem kleinen Ausfallschritt keineswegs hindert: nach Roland Garros, Aufschlag Ivan Lendl. Zu Partys, auf denen diesmal wenig getanzt wird. Vor allem, und auch nebenbei, wird, was zueinander passt, diskutiert, ausprobiert und sortiert. Es ist eine Komödie, darum kann das Missverständnis kurz vor dem Schluss scheinbar harmlos verpuffen, statt alles Vertrauen in die Männer final zu zerstören. (78cp)

Conte de printemps (1990)

Drei Frauen, diverse Wohnungen, ein Mann, oder auch: Die Geschichte der wiedergefundenen Halskette. Jeanne, die Philosophielehrerin ist (Darstellerin Anne Teyssèdre hat später mehrere Essays über das Werk von Rohmer geschrieben), Natacha, die gerade ihr Abi gemacht hat, mit einer eins in Philosophie, und Eve, die beim gemeinsamen Essen das Gespräch auf Kants Transzendentalphilosophie bringt. Vom Rand kommend, immer weiter in die Mitte geschoben: Igor, verhinderter Kunstkritiker, realer Kulturbürokrat, Vater Natachas, die ihrerseits die kaum ältere Eve, dessen Freundin, loswerden möchte. Jeanne, eine Zufallsbegegnung auf einer Party, kommt ihr da recht, sie lädt sie ins Zimmer des Vaters, der meist abwesend ist. Jeanne hat ihrerseits zwei Wohnungen zur Verfügung, die eine aber verschmäht sie, weil ihr Freund (ein Mathematiker, der abwesend bleibt) zu unordentlich, die andere, weil sie von ihrer Cousine besetzt ist. Musical chairs, ein Garten vor der Stadt kommt auch noch dazu, wo die Konflikte und das Ersetzungsbegehren dann kulminieren. Ein Spiel, das in seinen Grundbestandteilen einfach ist, denn es geht um Verführen/Begehren, Verbünden/Intrigieren, Vertrauen/Verdacht, nur sind ein paar zu viele (den Beteiligten nicht unbedingt durchsichtige) Wünsche, zu viele Wohnungen und mögliche Konstellationen im Spiel. Die Lösung kann nur Auflösung sein, und zwar durch das Herbeizaubern des McGuffins, mit dessen Erscheinen der Film zuletzt notdürftig camoufliert, dass es die ganze Zeit um ganz anderes ging als ein Rätsel, nämlich um die Wunschökonomien, die sich mal Kant, mal eine Kette als recht beliebiges Dingsymbol suchen. (72cp)

Conte d’hiver (1992)

Eine Urlaubsaffaire, Strand, Sex, Küsse, vom Alltag völlig entlastet, schnell geschnitten, dazu entspannt sentimentale Musik. Dann der Lapsus, die Verwechslung der Namen, Félicie schreibt Courbevoie statt Levallois, völlig unerklärlich, so unerklärlich, dass es beinahe ein Wunder ist, das ein weiteres Wunder zur Auflösung braucht: den Advent, an dem der Geliebte als Erlöser zurückkommt. Wenn man an ihn glaubt. Und Félicie glaubt, einzig an ihn glaubt sie, an die beiden Männer, zwischen denen sie stattdessen wählen soll, glaubt sie nicht, nicht genug jedenfalls, nicht an den Friseur, der sie ins Nevers-Land mitnehmen will, wo der Arbeitsalltag sie sofort einholt; und auch an Loic glaubt sie nicht, der mit seinen Freunden und auch mit ihr philosophico-theologische Diskussionen führt über das Vorleben mit Plato und die Wette auf ein Nachleben mit Pascal. Das ist in die Fahrt mit dem Auto gebettet, in den Sessel in der Wohnung mit vielen Büchern, dagegen die selbstbewusst «naive» und in ihrer alle Anfechtungen überwindenden Unbeirrtheit geradezu heiligmäßige  Félicie, die beteuert, dass sie «intello» weder ist noch sein will, die aber weiß, dass ihr Glaube genügt. Als weiterer Paratext dazwischengeschoben: eine Theateraufführung von Shakespeares Liebesverwirrungs-Drama A Winter’s Tale, in dem Böhmen, wie der Beginn des Films, am Meer liegt. Das alles ist rund um Weihnachten angesiedelt, ist alltagsnah-dokumentarisch inszeniert, die Straßen, anders als im Romanzen-Auftakt, matschig und grau – Kameramann Luc Pagès verzichtet wie schon in der Frühlingsgeschichte in allem auf jede Kunstfertigkeit -, um des Kontrasts willen zwischen den Mühen der Ebene, die sich Ende Dezember dieses Jahres erstreckt, und dem unbedingten Glauben an die Wiederkehr des Vaters des Kindes, eines Glaubens, der auf seinerseits mehr als alltägliche Weise Berge versetzt. Eine wundersam verdrehte Weihnachtserzählung, in der der Verzicht auf alles Märchenhafte ein Liebeswunder hervorbringt, das die mehr oder weniger alleinerziehende Mutter und Tochter zur ordnungsgemäßen Kleinfamilie erlöst. (75cp)

L’arbre, le maire et la médiathèque (1993)

Der Lehrer unterrichtet den Konditionalis. Auf karierten Blättern steht jede weitere Wendung der Geschichte im Zeichen des «si»: Hätte die Tochter des Bürgermeisters die Tochter des Lehrers nicht auf der Straße getroffen… Was daraus folgt, ist ein Gespräch zwischen der Tochter des Lehrers und dem Bürgermeister in seinem Schloss mit dem Park. Wobei: «Gespräche» sind nicht das, was den Film antreibt. Vielmehr sind es (teils in Kette geschaltete) Monologe, rhetorisch ausgefeiltes, mit viel Körpereinsatz vorgetragenes Gerede, reich an Meinungen, reich an dem, was zum Thema Stadt und Land, Vendée und Paris, Somewheres und Anywheres (in noch nicht diesen Begriffen), Ökologie und Politk (und dann auch Journalismus) im Diskurs au courant ist. Arm ist das an Empirie, es genügt und gefällt sich selbst, wie sich Arielle Dombasle, Fabrice Luchini und Pascal Greggory in ihrer Diskurs-Performance manchmal fast bis zum Aus-der-Rolle-Fallen gefallen. Der Gegenstand des Konflikts, der neue, ambitionierte Multifunktionsbau als Bibliothek/Freilufttheater/Mediathek/Saal, wird von allen Seiten umkreist, der Entwurf hängt in einem Architekturbüro in Cergy (wie um das Thema Städtebau und Architektur zu markieren, kehrt Rohmer, wenn auch kurz, an den Ort von Enfance d’une ville und L’ami de mon amie zurück). Das Umkreisen ist die Bewegung des Films, der sich nur in kurzen dokumentarischen Passagen, in denen er Bauern und Bewohner des kleinen Ortes zu Wort kommen lässt – der Ort ist Saint-Juire-Champgillon im Westen des Landes – und sich so zwischendurch erdet, bevor er gleich wieder ins pariserische Schwadronieren zurückspringt. Wie weit er letzteres als genau das begreift und also vorführt, sich selbst also als Geredemaschine durschaut, bleibt die Frage. Statt der Mediathek steht am Ende Gesang als eine kommunale, von der Pragmatik des Gesungenen entlastete Sache. (64cp)

Les rendez-vous de Paris (1996)

Mitten in der Stadt Pariser Bänkelgesang. Die Zwischentafeln purzelbunt oder schlicht mit Tinte auf Zettel. Drei Pariser Geschichten zwischen unwahrscheinlichem Zufall und erzählerischer Determination. Eine Dreifachverstrickung, bei der die eine Frau eine andere trifft, die mit ihr um denselben Mann konkurriert, ohne dass eine*r der drei davon etwas ahnt. Bis man einander begegnet, was dann die angesteuerte Romanze vereitelt, bei der ein des Diebstahls fälschlich verdächtiger Mann am selben Tisch im selben Café leer ausgehen wird. Ein Rundlauf des Verfehlens. Dann Bänkelgesang. Die zweite Geschichte bewegt sich touristisch durch nicht unbedingt zentrale Ecken von Paris, der Park von Belleville, der Parc de Villette (natürlich noch ohne Jean Nouvels Philharmonie), die Straßen und Bänke der Stadt, das Museums-Haus der Kubisten, ein Liebesspiel, bei dem nie ganz klar ist, was der Vorder-, was der Hintergrund ist: die Rendez-Vous oder Paris, Stadt oder Narration, es ist am Ende, wenn der Zufall in Montmartre sein Machtwort spricht, die Hommage an eine Liebesgeschichte, die vorüberging, so sehr wie eine Liebeserklärung ans Gehen und Vorübergehen und die Ecken und Straßen der Stadt. Dann Bänkelgesang. Ein Maler, der mit einem attraktiven weiblichen Gast aus Schweden nichts anfangen kann, dafür eine französische Fremde just ins Picasso-Museum verfolgt, in der er die andere unter einem Vorwand alleine zurückließ. Die Vorwände verschlingen sich vor Picassos Gemälde Mutter mit Kind 1907, dann Verlagerung von Bild und Dialog ins Atelier des Künstlers. Die gefundene Fremde zieht kusslos von dannen, der Maler geht leer aus im Leben, findet Trost für den Tag in der vorläufigen Vollendung des Werks. (80cp) 

Conte d’été (1996)

Pose, in die Gaspard noch beim Beach-Volleyball zurückfällt: unentschieden-nachdenkliche Haltung, Kinn an der Hand. Er kommt an, im Norden, in der Bretagne, spielt Gitarre, wartet auf Lena, die seine Freundin ist, oder auch nicht, kommt ins Gespräch mit Margot, die Ethnologin ist, sie besuchen einen alten Seemann, er singt ein Lied, das Gaspard, der es sonst mehr mit dem Blues hat, zu einem eigenen Song inspiriert. Den singt dann Solène, die dritte der Frauen, zwischen denen sich zu entscheiden Gaspard nicht gelingt, es geht hinaus auf ein schwankendes Boot, die Küste aber immer in Sicht. Rohmer macht aus dieser Geschichte eines Mannes zwischen drei Frauen, die Tage Ende Juli, Anfang August werden in weißen Tafeln mit meerblauen Wellenlinien heruntergezählt, eine Komödie der Indezision. Eine Fahrt im Auto, ein Spaziergang am Strand und an der Küste, die Wendung zur einen, eine Wendung zur andern, vor und zurück, ein Kuss hier auf die Lippen, eine Umarmung, ein Wort, das einen Tag später an Auszehrung leidet. Gaspard ist eine Figur der Passivität, ein Perceval-Update, nur kein roter Ritter, dafür drei Frauen, eine mehr intellektuell, eine in ihren Stimmungen schwankend, eine, die die Initiative ergreift, aber diese drei, die er alle verletzt, sind nicht eine, sondern gleich drei zuviel. Drei Frauen, die ihn nicht nicht begehren, alle wären womöglich ihn zu lieben bereit, wäre er nicht schwankend, ja das Schwanken selbst, zwischen Saint-Lunaire und Saint-Malo und Ouessant treibend getrieben, was in einer Serie von Anrufen kulminiert, die dazu führen, dass der junge Mann sich gegen die Entscheidung entscheidet, stattdessen das Musik-Gadget wählt, das ihn vom Druck des Entscheidens erlöst. (Im selben Jahr, 1996, dreht Hong Sang-Soo seinen ersten Film, auf den viele folgen, in denen allzu passive und liebesunfähige Männer um sich selbst kreisen und, oft am Strand, viel emotionalen Schaden anrichten.)

Conte d’automne (1998)

Jung und mittelalt, kleine Stadt und ländlicher Raum, Bücher, Wein und zwei Versuche, eine Single-Frau mit einem Mann zu versehen. Eine junge Frau, die den Philo-Prof vom Liebhaber in einen Freund umerzieht (mühsame Sache, freundliches Entwinden); die ihren neuen, jungen Lover zugleich als Objekt des Übergangs sieht, während sie aber an seiner Mutter, die mit ihr mehr als mit dem Sohn anfangen kann, festhalten will. Sie der Einfachheit halber mit dem Ex-Lover-Philo-Prof zu verkuppeln, also den nunmehrigen Quasi-Vater mit der Übergangs-Schwiegermutter, das ist selbst für Rohmers Verhältnisse der Perversion ein wenig zu viel. Was nicht heißt, dass sich dem Triebschicksal nicht nachhelfen ließe. So schreitet Marie Rivière, die ihrerseits auf kein grünes Leuchten mehr wartet, zur Anzeigen-Tat. Checkt den Mann aus, der seine libidinöse Erstinvestition in die Falsche noch einmal umlenken muss und umlenken kann, schließlich sitzt er am Steuer des Autos, aus dem die Richtige noch einmal aussteigt. Rohmer ist der Komödiengott, fast à la Shakespeare, der die möglichen und wirklichen Abzweige des Gelingens der Liebe mit leichter Hand immer wieder markiert und sich aus dem Bild nehmender, sich in das Sprechen und Wollen der dramatis personae hinein senkender Erzähler deutlich macht, dass nicht das Schicksal über die Kontingenz triumphiert, sondern dass es die Kontingenz ist, die das Mögliche ins Realisierte und Nichtrealisierte sortiert. Wie von selbst ergibt sich so das Komödienende. Kein deus ex machina kommt aus dem Himmel herab, man kehrt einfach noch einmal an den Ort der noch nicht ganz gelungenen Schicksalsverknüpfung zurück und löst dort die Reste des Knotens. (79cp)

L’anglaise et le duc (2001)

Die ersten Einstellungen des Films: Gemälde. Straßenszenen aus dem Paris des 18. Jahrhunderts. Dann aber, Wunder der Kinematographie, setzen sich die Gemälde in Bewegung. Genauer: es löst sich eine bewegte Schicht von der unbewegt bleibenden, ein Vorder- vom Hintergrund. Die Gebäude, die Wolken – nicht aber die Seine! – verharren im Gemäldezustand, sind Kulissen, deren Leinwandtextur in einigen der schönsten Einstellungen deutlich wird. Rohmer ist ein Verfechter des Realismus, aber à la Bazin, nicht à la naiver neuester CGI-Ideologie, die ihr Heil in der totalen Verschmelzung von Realem und Computeranimation sucht, auf dass sich der Betrachter im Illusionsbild verliere. Zitat Rohmer: „Die Wahrhaftigkeit kommt aus den Bildern und nicht aus der Montage. Ich halte mich treu an Bazins These, auch wenn er bei der Tiefenschärfe und den langen Einstellungen zu systematisch gewesen ist. Ich bin der Überzeugung, dass der Einsatz eines extrem sichtbaren Kunstgriffs Wahrhaftigkeit verleiht.“

Obwohl für keinen Moment die Kulissenhaftigkeit der Kulisse in Frage steht, gibt es doch ein Ineinander von Spielszenen und Hintergrund – abgesehen davon, dass die Innenräume „echte“ Studiokulisse sind. Die Wahl der Videokamera verdankt sich, neben den technischen Möglichkeiten, die sie bietet, dem Ton in Ton der Farben, das die Gemälde und die Kamerabilder zu wunderschönen Kompositionen wieder vereint. Die ganze technische Raffinesse wird jedoch, sonst wäre Rohmer nicht Rohmer, nie zum Selbstzweck, sondern selbst wieder zur Leinwand, auf der die authentische Geschichte Grace Elliotts, der Engländerin, die in Paris die Französische Revolution mit-, aber beinahe nicht überlebt, erzählt wird. Ganze Passagen übernimmt das Drehbuch aus ihren Memoiren, sie ist der Angel- und auch der Ruhepunkt, um den herum die revolutionären Geschehnisse entwickelt werden. Nur sehr selten entwirft Rohmer dabei Ereignisbilder – etwa einen Massenaufmarsch, eine Leichenszenerie, der Kopf einer Prinzessin auf der Pike -, die Regel sind diskursive Bilder, Dialoge, die genau kadriert sind, die Kamera bleibt meist statisch, verzichtet auf Closeups, folgt nur unmerklich den Bewegungen der Personen im Raum, ganz also der auf Distanz setzende Stil (ein Stil freilich, der eine Philosophie ist), den man aus allen Filmen Rohmers kennt.

In Frankreich hat sich der Regisseur mit diesem Film Feinde gemacht wie selten zuvor. Erst musste er ohne alle staatlichen Fördermittel auskommen, dann verweigerte ihm Cannes die Aufnahme in den Wettbewerb, aus politischen Gründen, wie gemutmaßt wurde. Der – angesichts des komplexen Realismus-Konzepts des Films allerdings sehr kurzsichtige – Vorwurf lautete und lautet, dass Rohmer mit Die Lady und der Herzog eine royalistische Position vertritt. Schon der Titel macht aber klar, dass dem so einfach nicht ist. Der königsfreundlichen Haltung Grace Elliotts steht bis zu seinem Ende der zwischen Loyalitäten hin- und hergerissene, aber entschieden auf Seiten der Revolution kämpfende Herzog von Orléans, Cousin des Königs, gegenüber. Beiden aber ist der Fanatismus fremd – und die Geschichte, die der Film erzählt, ist eine doppelte. Das Politische lässt sich vom Privaten – Grace und der Herzog waren einst ein Paar und sind noch immer engste Freunde – nicht trennen. Nur in der Verweigerung des Fanatismus, die beide, über den Graben der politischen Anschauung hinweg, verbindet, ließe sich, falls man zu solchen Verrechnungen überhaupt Lust hat, eine Position ausmachen, und zwar gegen den mörderischen Elan des Terreur, dem zuletzt auch der Herzog zum Opfer fällt.

Viel interessanter als eine politische Position muss Rohmers Herangehen sein. In gewisser Weise ist sein Film die Fortsetzung des Schulfernsehens mit anderen Mitteln – übrigens hat Rohmer in den 60er Jahren tatsächlich (literar)historische Filme fürs französische Schulfernsehen gedreht. Sein Ziel ist eine Objektivität, die nicht im Ideologischen liegt, sondern in der Darstellung. Eine Zurückhaltung, die Programm ist – und zwar gerichtet gegen alle Schein-Verlebendigungen des Historischen, die Nähe durch Überwältigung suggerieren wollen. Rohmers Konzept ist didaktischer, kühler und intellektueller zugleich.

Triple Agent (F 2004)

Die Bilder, die jeder kennt, die Bilder, die unser Gedächtnis besiedeln, die gibt es auch: Auszüge aus Wochenschauen, unkommentiert, meist genau datiert. Die Geschichte aber, die Eric Rohmer in „Triple Agent“ erzählen will, sie liegt dazwischen. Zwischen diesen Bildern, zwischen den Fakten und Daten, aber auch zwischen den Nationen. Die Daten: 1936 bis 1943, es gibt Sprünge, die stets markiert sind, es gibt Andeutungen, Ausführungen und Momente der Konzentration. Das Zentrum dieses überaus beweglichen Films ist denn auch eine Figur, die das Zwischen – oder das Zugleich, das macht kaum einen Unterschied – verkörpert wie kaum eine andere. Vielmehr: Die Rohmer als Verkörperung kenntlich gemacht hat, mit Hilfe des in der vermeintlichen Einfachheit seiner Mittel unübertrefflichen Darstellers Serge Renko.

Die Figur, um die es sich handelt: Fjodor Woronin, tätig ist er in Paris als Funktionär im Verband russischer Veteranen, er ist ein einstiger General auf der Seite der Weißen im Bürgerkrieg der frühen zwanziger Jahre. Seine genaue Position jedoch, sein Standpunkt in politischen Fragen, bleiben ein Geheimnis. Und um dieses Geheimnis ist es Rohmer mit seinem Film zu tun. Er löst es nicht auf, jedenfalls nicht, indem er eine simple Antwort findet, er bearbeitet es vielmehr mit einer Geduld und Genauigkeit, einer Präzision der Sprache und der szenischen Komposition, die schier den Atem rauben. Er lässt Woronin selbst darüber räsonnieren, worin die Kunst der Undurchsichtigkeit liegt. Nicht im Schweigen und nicht im Reden, sondern darin, das Reden wie das Schweigen unlesbar zu machen. Die Wahrheit so zu sagen, dass sie für Lüge gilt und so zu lügen, dass die Leute die Lüge durchschauen und dann zweifeln, ob es nicht doch wahr sein könnte.

Der geniale Schachzug – in seiner Einfachheit genial wie alles an diesem Film (und in Rohmers Werk) -, der diese Reflexion wie von selbst herstellt, ist die Wahl von Woronins Frau Arsinoe (Katerina Didaskalu) als Vertrauensfigur für die Zuschauerperspektive Beinahe nur ihren Blick gewährt der Film auf den „Triple Agent“ (der er vielleicht ist und vielleicht nicht) und entfaltet so die höchst komplexen historischen Verwicklungen als persönliche und in den persönlichen Gesprächen als weltgeschichtlich bedeutende zugleich. Schon die ersten Züge in diesem als Schachspiel – und als Reflexion des Schachspiels zugleich – angelegten Film thematisieren die Verwirrungen, die folgen werden, auf dem vermeintlichen Umweg über die Kunst. Arsinoe nämlich ist Künstlerin, sie malt hübsche Genreszenen, gekonnt, aber völlig démodé. Sie muss jedoch feststellen, dass ihre kommunistischen Nachbarn, mit denen sie sich anfreundet, Anhänger der ästhetischen Moderne sind und Stalinisten zugleich. Die Woronins dagegen verachten Stalin, aber die Kunst, die er verachtet, wollen auch sie nicht verstehen.

„Triple Agent“ ist ein durchaus radikales Alterswerk, in der Kompromisslosigkeit, mit der es seine Ziele verfolgt. Zug um Zug treibt er seine raffinierte Erörterung voran, bringt weitere Figuren ins Spiel, liefert Informationen – Arsinoe, also uns -, die einzuordnen nicht gelingen will. Und alle Erklärungen Woronins selbst bleiben zutiefst zweifelhaft. Immer wieder stellt ihn seine Frau zur Rede – und er ist klug genug, nicht auszuweichen. Nur das eine wird er nicht leisten, niemals: den Eid auf das Leben seines Sohnes. Es ist dies der entscheidende Moment des Films und das Zentrum, an dem alle vermeintlichen Wahrheiten zuschanden gehen. Die Wahrheit, die Politik, alles unterliegt dem Ränkespiel, in dem, das ist nur die konsequente Pointe, auch Woronin selbst, dem Hauptbeteiligten, nicht mehr klar ist, ob er die Figuren des Spiels noch führt oder selbst geführte Figur ist. Und nur einer behält den Überblick über das Spiel, sein Regisseur und Autor, der für die überaus raffinierte Einfachheit, mit der das alles in Szene gesetzt ist, nur zu bewundern ist: Eric Rohmer, mit 83 Jahren auf der absoluten Höhe seiner Kunst.

Die ersten Einstellungen des Films: Gemälde. Straßenszenen aus dem Paris des 18. Jahrhunderts. Dann aber, Wunder der Kinematographie, setzen sich die Gemälde in Bewegung. Genauer: es löst sich eine bewegte Schicht von der unbewegt bleibenden, ein Vorder- vom Hintergrund. Die Gebäude, die Wolken – nicht aber die Seine! – verharren im Gemäldezustand, sind Kulissen, deren Leinwandtextur in einigen der schönsten Einstellungen deutlich wird. Rohmer ist ein Verfechter des Realismus, aber à la Bazin, nicht à la naiver neuester CGI-Ideologie, die ihr Heil in der totalen Verschmelzung von Realem und Computeranimation sucht, auf dass sich der Betrachter im Illusionsbild verliere. Zitat Rohmer: „Die Wahrhaftigkeit kommt aus den Bildern und nicht aus der Montage. Ich halte mich treu an Bazins These, auch wenn er bei der Tiefenschärfe und den langen Einstellungen zu systematisch gewesen ist. Ich bin der Überzeugung, dass der Einsatz eines extrem sichtbaren Kunstgriffs Wahrhaftigkeit verleiht.“

Obwohl für keinen Moment die Kulissenhaftigkeit der Kulisse in Frage steht, gibt es doch ein Ineinander von Spielszenen und Hintergrund – abgesehen davon, dass die Innenräume „echte“ Studiokulisse sind. Die Wahl der Videokamera verdankt sich, neben den technischen Möglichkeiten, die sie bietet, dem Ton in Ton der Farben, das die Gemälde und die Kamerabilder zu wunderschönen Kompositionen wieder vereint. Die ganze technische Raffinesse wird jedoch, sonst wäre Rohmer nicht Rohmer, nie zum Selbstzweck, sondern selbst wieder zur Leinwand, auf der die authentische Geschichte Grace Elliotts, der Engländerin, die in Paris die Französische Revolution mit-, aber beinahe nicht überlebt, erzählt wird. Ganze Passagen übernimmt das Drehbuch aus ihren Memoiren, sie ist der Angel- und auch der Ruhepunkt, um den herum die revolutionären Geschehnisse entwickelt werden. Nur sehr selten entwirft Rohmer dabei Ereignisbilder – etwa einen Massenaufmarsch, eine Leichenszenerie, der Kopf einer Prinzessin auf der Pike -, die Regel sind diskursive Bilder, Dialoge, die genau kadriert sind, die Kamera bleibt meist statisch, verzichtet auf Closeups, folgt nur unmerklich den Bewegungen der Personen im Raum, ganz also der auf Distanz setzende Stil (ein Stil freilich, der eine Philosophie ist), den man aus allen Filmen Rohmers kennt.

In Frankreich hat sich der Regisseur mit diesem Film Feinde gemacht wie selten zuvor. Erst musste er ohne alle staatlichen Fördermittel auskommen, dann verweigerte ihm Cannes die Aufnahme in den Wettbewerb, aus politischen Gründen, wie gemutmaßt wurde. Der – angesichts des komplexen Realismus-Konzepts des Films allerdings sehr kurzsichtige – Vorwurf lautete und lautet, dass Rohmer mit Die Lady und der Herzog eine royalistische Position vertritt. Schon der Titel macht aber klar, dass dem so einfach nicht ist. Der königsfreundlichen Haltung Grace Elliotts steht bis zu seinem Ende der zwischen Loyalitäten hin- und hergerissene, aber entschieden auf Seiten der Revolution kämpfende Herzog von Orléans, Cousin des Königs, gegenüber. Beiden aber ist der Fanatismus fremd – und die Geschichte, die der Film erzählt, ist eine doppelte. Das Politische lässt sich vom Privaten – Grace und der Herzog waren einst ein Paar und sind noch immer engste Freunde – nicht trennen. Nur in der Verweigerung des Fanatismus, die beide, über den Graben der politischen Anschauung hinweg, verbindet, ließe sich, falls man zu solchen Verrechnungen überhaupt Lust hat, eine Position ausmachen, und zwar gegen den mörderischen Elan des Terreur, dem zuletzt auch der Herzog zum Opfer fällt.

Viel interessanter als eine politische Position muss Rohmers Herangehen sein. In gewisser Weise ist sein Film die Fortsetzung des Schulfernsehens mit anderen Mitteln – übrigens hat Rohmer in den 60er Jahren tatsächlich (literar)historische Filme fürs französische Schulfernsehen gedreht, an die leider kaum ranzukommen sein dürfte. Sein Ziel ist eine Objektivität, die nicht im Ideologischen liegt, sondern in der Darstellung. Eine Zurückhaltung, die Programm ist – und zwar gerichtet gegen alle Schein-Verlebendigungen des Historischen, die Nähe durch Überwältigung suggerieren wollen. Rohmers Konzept ist didaktischer, kühler und intellektueller zugleich – und deshalb geradezu unendlich altmodisch. Aufregend ist das für den, der bereit ist, Filme als Denkstücke zu nehmen, statt emotionale Vereinnahmung zu fordern. Darüber hinaus aber ist Die Lady und der Herzog eine visuelle Lust für jeden, der Augen hat zu sehen.

Les amours d’Astrée et de Céladon

Über 5.000 Seiten schilderte Honoré d’Urfé in seinem Anfang des 17. Jahrhunderts erschienenen Schäferroman „Les amours d’Astrée et de Céladon“ die unnötige Entfremdung zweier Liebender. Die Schäferin Astrée sieht, wie der Schäfer Céladon, den sie liebt, eine andere küsst. Weil seine Eltern Astrée nicht wollen, hat sie selbst ihm geraten, die Liebe zu einer anderen vorzutäuschen. Jetzt aber verflucht sie ihn und befiehlt ihm, ihr für immer aus den Augen zu gehen. Aus dem wie mit Fleiß missverstandenen Kuss folgt so die Trennungsgeschichte von Céladon und Astrée, die in vergleichsweise atemberaubender Raffung Eric Rohmer verfilmt hat. 86 Jahre alt war Rohmer, als er den Film drehte. Es handelt sich, so sagt er selbst, um sein letztes Werk. Es ist ein hinreißender Film geworden.

Klein ist der Anlass, groß ist das Unglück. Der schöne Céladon (Andy Gillet) ritzt schnell noch ein Gedicht in einen Baum und springt in den Fluss. Die nicht minder schöne Astrée (Stéphanie Crayencourt) glaubt ihn tot und beschließt, auf ewig zu trauern. In Wahrheit wird Céladon von drei Nymphen am Ufer gefunden und in ein Schloss gebracht. Dort erwacht Céladon zwischen Renaissance-Gemälden und denkt, er sei tot, ist es bei Gott aber nicht. Die Nymphen päppeln ihn hoch und sind sehr charmiert. Galathée (Véronique Reymond), eine von ihnen, will ihn für sich, eine andere, Léonide (Cécile Cassel), steckt ihn in Frauenkleider und schmuggelt ihn aus dem Schloss. Er kehrt nicht zurück zu Astrée, sondern geht depressiv in den Wald und errichtet, durch Léonide und ihren Onkel, den Druiden Adamas (Serge Renko), ermuntert, ein kleines, der Göttin Astrée gewidmetes Heiligtum.

Hin und her geht es zwischen einer vor lauter Trauer verstockten Astrée und dem trotzig im Wald verharrenden Céladon. Mit allergrößter Selbstverständlichkeit filmt Rohmer dabei die in freier Natur, in Wäldern und Fluren wandelnden jungen Menschen. Eine Schrifttafel am Anfang erklärt, dass die Geschichte im fünften Jahrhundert in Gallien spielt. Also verfilmt Rohmer die Fantasie eines Autors des 17. Jahrhunderts von einer früheren Zeit. So viel anders als im Paris der Gegenwart geht es allerdings auch wieder nicht zu. Es werden über die Liebe Diskurse geführt, die Seele, die Körper, worauf man sich konzentrieren sollte, solche Sachen. Einer der jungen Männer springt herum, singt und feiert die Promiskuität. Ein anderer plädiert eher humorlos für die Verschmelzung der Seelen. An anderer Stelle diskutieren Céladon und Adamas über die Götter der Römer und den einzigen, hier als keltischer Teutates vorgestellten christlichen Gott.

Der Film steht, wie Rohmers Filme eigentlich immer, bei alledem mit leiser Distanz am Rand und beobachtet, was sich abspielt, mit von Bösartigkeit nicht immer ganz freiem Vergnügen. Es muss, ohne unnötigen Ernst, das glückliche Ende herbeigeführt werden, nach dem es das Genre verlangt. Erst sitzt Céladon noch im Holz-Tipi im Wald und kommt von Astrée, seiner Liebesgöttin, nicht los. Dann sieht er sie liegen im Schlaf und küsst sie und sie verkennt ihn und auch wieder nicht. Wir hören von einer Urszene, in der Céladon sich als Mädchen verkleidet, das sich als Junge verkleidet für ein Theaterstück. Hinaus läuft das Ganze dann auch auf ein großes, lustspielartiges Geschlechtertauschszenario. Astrée liebt Alexia, die in Wahrheit Céladon ist. Was sie erst merkt, als sie ihr/ihm an die Wäsche geht. Es war schon immer ein Missverständnis, zu glauben, es gebe bei Rohmer auch nur eine Einstellung oder ein Wort zu viel. Das Glück, das Céladon und Astrée finden, bedarf keiner weiteren Erklärung. Darum macht Rohmer – mit diesem Film, mit seinem Werk – an dieser Stelle so souverän wie abrupt einfach Schluss.

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